Konferenzen

„Gestern ein Schmuddelkind, heute eine Zukunftsbranche“. So titelte die FAZ am 13. Juni 2022 – 22.09.2022

Verteidigungsindustrie Diskussion 2022

Der Club des Affaires en RNW hat am 22. September 2022 Vertreter der Rüstungsindustrie, der Bundeswehr und der französischen Armee zu einer Diskussion eingeladen.

Die Verteidigungs- und Sicherheitsindustrie ist in aller Munde, in den Medien und in Debatten, vor allem in diesen Tagen. Sowohl in Frankreich als auch in Deutschland hat diese Branche eine große wirtschaftliche Bedeutung und ein großes Potenzial. Sie wird aber auch regelmäßig kontrovers diskutiert, insbesondere in Deutschland.

Aus diesem Grund hatte der Club des Affaires en RNW beschlossen, sich mit den Herausforderungen dieses Sektors zu beschäftigen und Hersteller und Anwender zur Diskussion einzuladen.

So konnten wir im Industrie-Club Düsseldorf Offiziere der Bundeswehr und der französischen Armee sowie Vertreter der Rheinmetall AG, die seit 130 Jahren in Düsseldorf ansässig ist.

Die Vertreter der Bundeswehr und der französischen Armee waren als erfahrene Kenner des Themas unsere Gäste, nicht aber als Sprecher der jeweiligen Armeen der beiden Länder. Daher stellen die im Folgenden zitierten Aussagen und Standpunkte ihre jeweiligen privaten Einschätzungen dar und sind keine offiziellen Positionen.

Herr Dr. Georg Jaster, der die Diskussionsrunde leitete, setzte zunächst folgendes Ziel: “Heute wollen wir lernen, diesen Sektor besser zu verstehen”.

Der Diskussionsabend endete mit einem Abendessen, bei dem die Gespräche fortgesetzt werden konnten.

Wir danken unseren Rednern (Dr. Charles Philippe Graf Dijon de Monteton, Rheinmetall AG, Fregattenkapitän Herrn Volker Voss und Herrn Leon Evers vom Marineunterstützungskommando in Wilhelmshaven sowie Herrn Brice Simon, Oberstleutnant (Heere) und laden Sie ein, die Zusammenfassung des Abends zu lesen.

Zusammenfassung des Abends

Europäische Zusammenarbeit der Hersteller

Dr. Charles Philippe Graf Dijon de Monteton, seit 2017 Leiter der Geschäftsentwicklung von Rheinmetall in Brüssel, wies sofort auf einen zentralen Widerspruch hin. Zwar sei allen klar, dass wir in “Europa im Bereich Verteidigung und Sicherheit” näher zusammenrücken müssten. In der praktischen Umsetzung gibt es jedoch erhebliche Probleme. So soll zum Beispiel das aktuelle Projekt “Future Combat Air System (FCAS)”, ein neues Kampfflugzeug als Nachfolger des Eurofighters, aufgrund von Differenzen zwischen den Partnern Airbus und Dassault vom Auslaufen bedroht sein.

Der politische Wille ist auf jeden Fall vorhanden. Der bereits im April 2021 vom Europäischen Parlament endgültig verabschiedete Verteidigungsfonds, der für die Jahre 2021 bis 2027 mit rund 7,95 Milliarden Euro ausgestattet ist, soll dazu dienen, die grenzüberschreitende Kooperation und Zusammenarbeit der Rüstungsindustrie innerhalb der EU zu fördern. Die aktuellen Entwicklungen seit Februar 2022 werden diese Pläne sicherlich auch stark beeinflussen.

Die vierte Dimension – bewaffnete Konflikte und der Cyberspace

Fregattenkapitän Volker Voss vom Marineunterstützungskommando in Wilhelmshaven www.bundeswehr.de/de/organisation/marine/organisation/marineunterstuetzungskommando, der ein Team für die Entwicklung des Softwaresystems MESE (Militärisch Erweiterbare Software-Entwicklung) leitet, und unser Gast aus Frankreich, Oberstleutnant Brice Simon, der seit 2020 Verbindungsoffizier zum Kommando Cyberspace und Information (Kdo CIR) in Deutschland ist www.bundeswehr.de/de/organisation/cyber-und-informationsraum/kommando-und-organisation-cir/kommando-cyber-und-informationsraum, haben deutlich gemacht, dass die heutigen bewaffneten Konflikte nicht mehr nur in zwei oder sogar drei Dimensionen (zu Land, zu Wasser, in der Luft/beziehungsweise im Weltraum) ausgetragen werden. Inzwischen ist mit dem Cyberspace eine vierte Dimension hinzugekommen. Die Streitkräfte stehen heute vor der Herausforderung, in allen vier Dimensionen und im Rahmen einer multinationalen Zusammenarbeit operieren zu können.

Herr Voss fügte hinzu, dass zu diesem Zweck Strukturen innerhalb der Bundeswehr geschaffen wurden, die die Bundeswehr und Start-ups zusammenbringen können. Ebenso gebe es mittlerweile ein Intrapreneurship-Programm, das es Soldaten ermögliche, ihre aktuelle Verwendung zu verlassen und eine innovative Idee zu verfolgen. So können Entwicklungen und Innovationen auch innerhalb der Bundeswehr entstehen, ohne externe Beschaffungsprozesse durchlaufen zu müssen.

Dieser Teil der Diskussion machte allen Teilnehmern deutlich, dass es bei der Rüstung nicht immer nur um “Hardware” wie Panzer, Flugzeuge, Kanonen usw. geht. Fregattenkapitän Voss betonte, dass heutige Waffensysteme ohne Software gar nicht mehr denkbar seien und diese daher auch im Beschaffungsprozess eine wichtige Rolle spiele.

Wie wird der Einkauf abgewickelt? – Das Kaufsystem

Oberstleutnant Brice Simon erläuterte die Funktionsweise der Generaldirektion für Rüstung (DGA), die seit 60 Jahren folgende Aufgaben wahrnimmt: Planung und Entwicklung, Forschung und Entwicklung, Ausrüstung der nationalen Streitkräfte, Förderung der europäischen Zusammenarbeit und Unterstützung von Rüstungsexporten, und die ihre Aufgaben nach Ansicht der Teilnehmer recht effizient erfüllt.

Dr. Dijon wies auf einen wichtigen Unterschied zwischen Deutschland und Frankreich hin, nämlich dass die wichtigsten deutschen Unternehmen der Rüstungsindustrie im Gegensatz zu den französischen Unternehmen keine öffentlichen Aktionäre oder Gesellschafter haben.

Der Blick auf Deutschland ergab ein weniger zufriedenstellendes Bild:

Die öffentliche Auftragsvergabe leidet unter langwierigen und mehrstufigen Prozessen, ist an Haushaltsjahre gebunden und hat als Hauptkriterium den Preis und nicht die Qualität oder strategische Überlegungen. Dr. Dijon fügte hinzu, dass die Industrie in anderen Ländern eher ein Partner ist, während sie in Deutschland manchmal als “Feind” betrachtet wird.

Evers machte deutlich, dass eine Reform des derzeitigen CPM-Beschaffungsprozesses notwendig sei, insbesondere bei sich schnell entwickelnden und anpassungsfähigen Softwaresystemen. Er zeigte sich voll und ganz von der deutsch-französischen oder europäischen Zusammenarbeit überzeugt, die jedoch nicht nur auf wirtschaftlicher und verteidigungspolitischer Ebene, sondern auch auf operativer Ebene stattfinden sollte. Nur eine europäische Armee könne eine gleichberechtigte Partnerschaft mit den USA begründen und auf die Sicherheitsbedrohungen reagieren, die seit dem 24. Februar 2022 die Welt bedrohen.

Letzte Beiträge